Heute
(/edit: und damit meine ich neulich, da ich diesen Eintrag erst jetzt ins Netz stelle, ihn aber schon vor etwas mehr als einer Woche geschrieben habe)
saß ich in einem Fernverkehrszug der Bahn und wie so oft wenn man das tut, kam ein tüchtiger Gesell mit seinem mobilen Rollsupermarkt durch das Abteil gewandert um seine Produkte feilzubieten. Jeder dieser auf doppelte Weise fahrenden Händler hat ja so seine eigene Art, seine Produkte anzupreisen. Manch einer brüllt regelrecht: »Kaffee! Lecker lecker Kaffee!«, was besonders viel Erfolg verspricht, wenn der Zug gerade zum bersten gefüllt ist. Sitzt man eher in Zügen mit weniger Auslastung und vielen freien Sitzplätzen, trifft man gerne mal auf die Spezies von Rollverkäufern, die ihre Wagen lautlos hinter sich her ziehen, sich zaghaft von hinten an deinen Sitz schleichen um dann wie aus dem Nichts ihr Gesicht vor deinem Gesicht erscheinen zu lassen und lustvoll: »Na? Süssischkeiten jewünscht?« zu raunen. Diese Schleicher sind mittlerweile fast die einzigen, die ich noch mitbekommen. Der Grund dafür liegt darin, dass ich wirklich viel auf dem Gleispony unterwegs und man sich an die Schreie jener Reise-Tante-Emmas gewöhnt wie an das Ticken einer Uhr, sodass man sie irgendwann nicht mehr hört. Verstärkt wird das dadurch, dass ich die, von den Einmanneinzelhandelspersonen betriebenen, Dienstleistung nahezu niemals nutze, was der miserablen Qualität des Kaffees sowie der Höhe der Preise jeglicher Produkte geschuldet ist. Wie viel lieber habe ich doch ein gutes, zu Hause angefertigtes Butterbrot im Butterbrotfach meines Ranzens, wie viel besser schmeckt doch der Kaffee, mit dem man sich in verschiedenen Bäckereien am Abfahrtsort bestücken kann. Völlig egal, wie chaotisch man eine Reise antritt, versorgen sollte man sich entweder noch vor Reiseantritt oder sich für die Dauer der Strecke im Fasten üben, wobei ich jetzt auch niemandem den Kaffee der treuen Gleisgeschäftsgenossen verhageln möchte. Sicher, manchmal und zu besonders früher Stund mit vorheriger besonders langer Nacht rettet dieses Geplörr bestimmt auch das ein oder andere Leben, doch aus der Sicht von Geschmacksknospen sollte diese Suppe nicht gelöffelt werden. Wenn du jetzt aber ein großer Fan von gerade diesem Kaffee bist, dann soll mir das auch recht sein, ich kenne auch Leute, die lutschen genussvoll einen Brühwürfel bevor sie sich zu Bette begeben, ich wollte ja auch nur erklärt haben, warum ich die DB-Dinge-Dealer nicht mehr wirklich wahrnehme, wenn sie sich selbst durch die Flure der Züge wuppen. Jetzt gerade aber, und ich schreibe diese Zeilen, während ich immer noch im Zug sitze (BEWEISFOTO)
// EDIT 2015: DAS BEWEISFOTO IST BEIM GROßEN DATENVERLUST 2015 DRAUF GEGANGEN
kam hier ein Travel-Tresen-Barkeeper vorbei gerollt, der mich schockierte. Denn wie die meisten seiner Art hatte ich seine Anwesenheit gar nicht mitbekommen. Ich hörte es nur plötzlich lüstern fragen: »Sandwich, Vollkornschnittchen?«
Diese Kombination von Worten alarmierte plötzlich mein Gehirn. Jeder kennt diese Bilder, in denen jedes Kind nur einen Klumpatsch von Delfinen sieht, während das sexuell geprägte Gehirn von ausgereiften Personen in erster Line nackige Personen wahrnimmt, quasi der Beweis dafür, dass das Gehirn sich im Laufe der Zeit hauptsächlich auf das Erkennen sexueller Reize spezialisiert.
(Edit: Habe recherchiert, dass das Bild von Sandro Del Prete ist, man kann es hier noch mal angucken…)
Als ich nun »Sandwich, Vollkornschnittchen?« hörte, nahm ich plötzlich seit langem mal wieder einen Zugverkäufer wahr, denn mein Gehirn machte mich darauf aufmerksam, dass gerade irgendwer einer Person mit ökologisch geprägten Ansichten (Vollkornschnittchen) einen Dreier (Sandwich) angeboten hätte. Dass er tatsächlich nur zwei verschiedene Brotspeisen anbieten wollte, wurde mir erst nach ein paar Bruchsekunden des Selbsträsonierens bewusst.
Nun, welch Fazit mögen wir daraus ziehen, außer erneut festzustellen, dass Menschen gemeinhin ihrem Selbsterhaltungstrieb zu folgen geneigt sind?
Vielleicht, dass wir nicht vergessen sollten, dass Menschen mehr Tier sind, als viele sich das eingestehen. Und dann vielleicht auch, dass ein Zug nichts weiteres ist, als ein Tiertransporter, welches Lebewesen durch die Welt kutschiert, die alle an sich andere Ziele haben, im Endeffekt aber doch nur das selbe wollen – Wärme, Nähe und Nahrung. Und vielleicht, dass ein Sandwich quasi die Kinderüberraschung für Erwachsene ist, denn je nach Sichtweise erfüllt kann es eben all die drei Wünsche erfüllen.
Auf jeden Fall hat es mich überrascht, dass ich mich selbst auch mit Vollkornschnittchen angesprochen fühlen würde und das Wort eigentlich ganz nett finde, besser zumindest, als Toastbrot.
(/edit: und das ab jetzt schreibe ich wie die edits neu heute dazu)
Apropos Worte. Eine kleine Anekdote bevor dieser Beitrag dich endlich wieder in Ruhe lässt. Neulich hatte ich einen Auftritt in Berlin. Unter den dort Auftretenden waren auch einige nicht Deutsch-Muttersprachler. Diese Szene spielte sich in den Katakomben des Admiralspalast ab, wo ich gerade vom Rauchen kam und einen britischen Künstler traf:
Brite: Entschuldigung! The German word for Exit is Ausgang, isn’t it?
Andy: Yes, indeed it is! Why do you want to know?
Brite: Because i want to smoke…
Andy: Then you just need to go through that door (/ich deute auf die Tür, durch die ich gerade gekommen bin)
Brite: I’ve been told so, but that is NOT-AUSGANG…
…
Man stelle sich dieses Wissen vor in einer Situation, in der es brennt. Halbwissen ist also doch gefährlicher, als ich dachte.
So. Jetzt verdaue ich ein bisschen die wundervollen Slam-Meisterschaften, von denen ich die Tage mehr berichten werde. Und von einem wunderschönen Buch über Tocotronic.
High Five,
Andy